55 Jahre lang war Kari Iten aus Unterägeri für die Taxi Kaiser AG unterwegs. Letzten Mittwoch hatte der passionierte Autofahrer nun seinen letzten Arbeitstag. Mit 75 habe er doch Lust auf etwas mehr Ferien bekommen. Er hat viel zu erzählen.
Da sitzen sie im ersten Stock der Zentrale von der Taxi Kaiser AG an der Chamerstrasse 84: Zeno Sattler, der 82-jährige Seniorchef des Unternehmens und der treuste Mitarbeiter der Firma, der 75-jährige Kari Iten aus Unterägeri, bei dem wohl fast jeder aus dem Kanton Zug schon einmal im Taxi sass. Die beiden Herren haben gemeinsam viel erlebt. Als Sattler anfing, als Bürogummi, wie er sagt, arbeitete Iten bereits seit kurzem als Taxifahrer fürs Unternehmen, das auch noch aus einer Autogarage bestand. «Eigentlich wollte ich nur ein Jahr bleiben, erinnert sich Iten. «Doch dann ging das Jahr vorbei und das nächste auch, und so ging es immer weiter.»
Ursprünglich hatte der Unterägerer Metzger gelernt, seine Eltern wollten, dass er eine Lehre machte. Doch nach der Lehre auf dem Beruf gearbeitet hat er nie. Er blieb sein Leben lang Taxifahrer. «Autofahren ist einfach meine Passion», sagt er. «Schon, wenn ich in meiner Jugendzeit im Dorf ein Auto vorbeifahren sah, geriet ich fast aus dem Häuschen.» Der Job als Taxifahrer sei perfekt für ihn gewesen, ich war mein Leben lang nie arbeitslos, und das Arbeiten war stets ein Dürfen und nie ein Müssen.» Sattler bestätigt dies: «In all den Jahren hat Kari immer mit viel Freude vorbildlich gearbeitet, war nie zu spät und fehlte nur fünf Tage. Und bis zu seinem 45. Geburtstag hat er sogar keinen einzigen Tag gefehlt.» «Was 45?», wirft Iten ein. «Bis zu meinem 61. Geburtstag.» «Ah genau, damals als du die Pillen weggespült hast», erinnert sich Sattler. Die beiden lachen wieder – wie so oft während dieses Gesprächs.
Er habe am Vortag etwas viel Schokolade gegessen und wenig getrunken, beginnt Iten die Anekdote. «Mir gings nicht gut und der Arzt schickte mich ins Spital mit Verdacht auf Herzinfarkt. Erst wollte ich gar nicht, aber er sagte, es könne um Leben und Tod gehen. Da dachte ich, Ersteres wäre besser, und ging.» Im Krankenauto habe er sich dann aber vorne reingesetzt. «Als ich im Krankenhaus ankam, fragte mich die Ärztin ganz nervös, wo denn der Patient sei», Iten lacht. «Dann wollten sie meine Krankenakte. Da sagte ich, so etwas hätte ich nicht, wie auch, ich war ja noch nie krank.» Fünf Tage habe er bleiben müssen. «Die Tabletten spülte ich jeweils weg, ich hatte zuvor nie Tabletten genommen und brauchte sie auch da nicht. «Was für eine Zeitverschwendung.»
Die Zeit verbrachte Iten lieber auf der Strasse. Auch als er das Pensionsalter bereits lange erreicht hatte. «Wenn Gott will, werde ich noch bis zu meinem 75. Geburtstag am Steuer eines Taxis sitzen», sagte er vor fünf Jahren, als er gerade sein 50. Jubiläum beim Unternehmen feierte, gegenüber unserer Zeitung. Und Gott wollte. Doch nun will Iten nicht mehr. Noch letzte Fasnacht habe er nach einem nervigen, betrunkenen Gast, der ihn ständig gedrängt habe, schneller zu fahren, zu seinem Chef gesagt: «Ohne Taxi hätte ich so jemanden nicht kennen gelernt. Da dachte ich noch nicht, dass ich bald wirklich kein Taxi mehr fahren würde», so Iten. Denn noch letztes Jahr habe er es fast nicht erwarten können, bis wieder Oktober sei und er wieder ins Taxi steigen könne.
Schon seit einigen Jahren macht Iten im Sommer jeweils drei Monate Ferien. «Ich fahre dann mit meiner Frau in eine schöne Stadt, danach kommen wir wieder zurück, um den Garten zu machen, und dann gehts oft noch ins Tessin.» Doch dieses Jahr habe er schon im September gedacht, dass der Urlaub viel zu schnell vorbeigehe. «Da schnappte ich mir das Telefon und rief bei meinem Chef an, um ihm mitzuteilen, dass ich nun gerne aufhören würde. Er sagte mir, es sei sehr schade, hatte aber Verständnis.» Er habe den Beruf eben immer so lange ausgeübt, wie er uneingeschränkt Lust dazu gehabt hätte, erklärt Iten. «Auch wenn meine drei Kinder schon länger sagen, ich sollte doch so langsam mal aufhören.»
Am vergangenen Mittwoch hatte Iten nun seinen letzten Arbeitstag nach 55 Jahren. Es habe sich viel verändert in dieser Zeit, sagt der 75-Jährige auf eine entsprechende Frage. «Am Anfang fuhren wir oft Hausfrauen.» «Stimmt, die Hausfrauenfahrten», erinnert sich Sattler. «Das waren Frauen, die wir beispielsweise zum Einkaufen und wieder zurück fuhren», so Iten. Heute hingegen würden viele Fahrten zum Flughafen Kloten gehen. «Sicher insgesamt acht- bis zwölfmal pro Tag.» Auch das Verkehrsaufkommen sei ein ganz anderes gewesen.
«Wenn die Leute zur Arbeit fuhren oder zurück, war manchmal ein bisschen mehr los auf den Strassen, sonst konnte es aber gut sein, dass man weit und breit kein Auto sah.» Heute stehe man hingegen häufig im Stau. «Aber da gewöhnt man sich dran», so Iten. Er sei immer ein gelassener Autofahrer gewesen, betont der 75-Jährige. Auch Unfälle habe er nur ganz wenige gehabt. «Einmal fuhr mir einer hinten rein. Danach hatte mein Auto Totalschaden. Ein anderes Mal dachte ich bei einem Schneeberg, den könnte man unkompliziert zur Seite schieben. Darunter befand sich aber, was ich nicht wusste, ein Brunnen. Das war peinlich.» Zu Schaden sei aber in all den Jahren nie jemand gekommen.
Und dann erinnert sich Iten an den schwierigsten Moment in seiner Laufbahn. Am Bahnhof Zug sei einmal ein aus Italien hergereister Mann in sein Auto gestiegen, der zur Axenstrasse fahren wollte. Eine Adresse habe er nicht genannt. «Der Mann sagte nur, sein Sohn sei mit seinem MG an der Axenstrasse verunfallt. Er wolle ihn sehen», erzählt Iten. Auf der Höhe der Tellsplatte habe es dann vor Rettungskräften gewimmelt, die soeben das Auto mit dem toten Sohn seines Fahrgastes aus dem Wasser gezogen hätten. «Ich werde nie vergessen, wie markdurchdringend und verzweifelt der Vater den Namen seines Sohnes gerufen hat. Das ging mir an die Nieren.»
Und was macht der langjährige Taxifahrer nun mit der neuen Freiheit? «Golfen werde ich nicht», sagt Iten. «Das ist doch mehr deins, Zeno?» «Nein, das nun auch wieder nicht, hab’s nur mal probiert», antwortet dieser. Und ergänzt: «Kari schätzt dafür gutes Essen.» «Gegen einen Zehngänger aus vielen kleinen Köstlichkeiten habe ich wirklich nichts einzuwenden», präzisiert dieser. Es werde ihm sicher nicht langweilig, er freue sich nun mit 75 auf seine Pensionierung.