Was sich liebt, das neckt sich. Das sagt zumindest ein bekanntes Sprichwort. Ob das auch für die Ob- und Nidwaldner gilt? Dieser Frage geht Kolumnistin Franziska Ledergerber im neuesten «Ich meinti» nach.
«Das isch e bröini Fläschä und nid e Griäni», schnauzte mich ein Mann auf dem Recyclingplatz in Engelberg an, nahm mir die grün-braune Flasche aus der Hand und warf sie in den «richtigen», den für braune Flaschen markierten Container nebenan. Dabei sah er mich entrüstet an und doppelte «döi Nidwaldner Schaafseckel!» energisch nach, machte alsdann rechts umkehrt und lief davon. Meine bisherigen Überlegungen zu einer Vereinigung der beiden Kantone Nidwalden und Obwalden verflüchtigten sich in diesem schrägen Moment erfrischend im Nebel des Zweifelns. Zuerst verdattert, doch zunehmend belustigt stand ich auf dem Recyclingplatz und schaute dem Mann nach.
Nicht etwa, dass die Obwaldner nicht alle Flaschen im Schrank hätten, Gott bewahre, aber es müssen doch gewisse Animositäten in der Luft liegen, die eine solche Reaktion hervorriefen.
«Tschifeler» und «Reissäckler» nennen sich die Ob- und Nidwaldner zuweilen gegenseitig spöttisch, gelegentlich auch abschätzig. Dem Spottnamen «Tschifelern», gemeint sind die Obwaldner, liegt eine Erzählung zugrunde, wonach diese nach dem Franzosenüberfall 1798 gebrandschatzten Häuser der Nidwaldner zusätzlich geplündert und die Beute in ihren «Tschifelen» zurück nach Obwalden getragen hätten.
Obwalden stimmte damals als einziger Stand in der Innerschweiz der Helvetischen Verfassung zu. Die Nidwaldner dagegen leisteten erbitterten Widerstand, der von den französischen Truppen niedergeschlagen wurde und in einem Massaker endete. Dass nun die Obwaldner daraufhin auf Beutezug hätten gehen sollen, ist eher unwahrscheinlich. Wenn dem so gewesen wäre, würde sich «Tschifeler» als Spottname ungleich brutaler ausnehmen als derjenige der harmlosen «Reissäckeler», die lediglich kleine symbolische Reissäcklein an ihre Trachten nähen. Andererseits könnten die «Reissäckeler» auch Reisläufer, Söldner in fremden Diensten, gewesen sein. Zu jener Zeit waren junge Innerschweizer Männer für Europas Königshäuser und andere Kriegstreiber begehrte Kämpfer an vorderster Front.
Wie dem auch sei, vielleicht wanderten die Obwaldner auch nur neben ihren beladenen Maultieren über den Brünig und den Simplon nach Italien, trugen runde Sprinz-Laibe auf ihren «Tschifelen» und grüssten ihre Kompatrioten, die in entgegengesetzter Richtung den Reis in grossen Säcken aus dem Piemont mit nach Hause schleppten. Zu Italien pflegten beide gute Handelsbeziehungen.
Ein etwas anderer Aspekt zu diesem Thema lieferte ein Arzt aus Obwalden. Er konnte mittels einer genetischen Analyse der Bevölkerung in Nidwalden und Obwalden eine je andere DNA ausmachen. Erstere soll vorwiegend von den Alemannen abstammen, Letztere von den Kelten. Die einen temperamentvoll, die anderen besonnen. Diese Erkenntnis sorgte hier wie dort für gegenseitiges Spotten. Wer sich neckt, der liebt sich. Im Grunde genommen die ideale Voraussetzung für eine gelungene Zusammenlegung der beiden Kantone.
Aber nichts da, der temperamentvolle, nicht etwa besonnene Herr bei den Containern hätte mir «Nidwaldner Schaafseckel» bei einer solchen Aussicht die Flasche wohl gleich über den Kopf gezogen.