Kolumne
«Ich meinti»: Lüg für mich, liebe KI!

Primus Ettlin über das Chatprogramm, das in aller Munde ist. Ob ChatGPT auch für Bewerbungsschreiben taugt?

Primus Ettlin
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Primus Ettlin ist Kolumnist der Nidwaldner und Obwaldner Zeitung.

Primus Ettlin ist Kolumnist der Nidwaldner und Obwaldner Zeitung.

Bild: Florian Arnold

ChatGPT sorgt derzeit für Aufregung, weil das Programm dank künstlicher Intelligenz (KI) in der Lage ist, fast wie ein Mensch zu schreiben. Und wie immer, wenn neue Technologien die Runde machen, spricht man von Gefahren und Chancen. Mich lässt das Ganze im Moment noch ziemlich kalt. Bis ich fähig wäre, ein solches Programm richtig zu füttern, kann ich meine Texte gleich selbst schreiben. Sollte ich das Programm einst dennoch benutzen, so wüsste ich aber genau, zu welchem Zweck. Dann würde ich den Chatbot damit beauftragen, meine Bewerbungen zu verfassen.

Es gibt nichts Mühsameres, als eine Bewerbung zu schreiben. Sich zu bewerben – also Werbung für sich selbst zu machen – ist per se unangenehm. In letzter Zeit musste ich dies leider hie und da mal tun und fragte mich: Wie viel Beschönigung liegt noch im Bereich der Wahrheit? Wie viel Schmeichelei ist notwendig und ab wann wird es absurd? Ein Motivationsschreiben ist letztlich eine Mischung aus Anbiederung und Eigenlob, da kommt man kaum drum herum. Das Unternehmen wird mit Komplimenten bezirzt, um glaubhaft zu machen, dass man die Stelle auch wirklich will. Dabei sind doch die wahren Gründe oftmals ziemlich banal. Zum Beispiel ein kurzer Arbeitsweg, nette Arbeitsgschpändli oder natürlich auch ein passender Lohn. Derweil werden der eigenen Persönlichkeit Eigenschaften wie kompetent, belastbar, zuverlässig oder teamorientiert zugeschrieben. Man stelle sich vor, jemand würde sich in einem anderen Kontext so vorstellen und das komplett unironisch.

Apropos Eigenlob. Auch der Lebenslauf bietet da und dort Platz für optimistische Selbsteinschätzungen. So zum Beispiel unter dem Abschnitt «Sprachkenntnisse». Die liessen sich mit verschiedenen Diplomen eigentlich gut belegen. Noch besser aber, wenn man über keine Diplome verfügt. Dann kann sich die Vagheit der Sprache entfalten. Da gebe ich meinem grammatikalisch katastrophalen Englisch mit gehörigem Schweizerakzent doch glatt das Gütesiegel «verhandlungssicher». Die sieben Jahre Schulfranzösisch, die keinerlei Spuren hinterlassen haben, müssen für ein «Grundkenntnisse» reichen. Alles eine Frage der Interpretation. Was sind schon gute EDV-Kenntnisse? Meine Nackenhaare stellen sich auf, sobald ich Excel öffne. In meinem Lebenslauf steht trotzdem «sehr gute EDV-Kenntnisse». Ein Vorteil des Jungseins: Bei einem jungen Menschen werden gutes Englisch und ein geschickter Umgang mit Technik vorausgesetzt und dementsprechend auch fast nie kritisch hinterfragt oder gar geprüft.

In der Bibel steht: «Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!» Eines der zehn Gebote. Die Bibel hat schon recht, lügen ist unredlich und keinesfalls zu empfehlen. Doch der Grat zwischen Wahrheit und Unwahrheit ist manchmal schmal und fast nirgends so schmal wie bei einem Bewerbungsschreiben. Um sicherzugehen, dass ich keine Sünde begehe, lasse ich meine Bewerbungen in Zukunft gerne von einem Chatbot schreiben. Soll doch das Programm für mich etwas zusammenlügen.

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