Ein emotionaler Moment für die Hergiswiler Glasbläser. Sie müssen sich von ihrem alten Ofen verabschieden. In den kommenden sieben Wochen wird für 3 Millionen Franken ein neuer Glasschmelzofen gebaut.
Um 9.02 Uhr schlägt Manuel Catalao die «heilige Glocke» an und signalisiert so das Ende der «Ofenreise», wie die Lebensdauer eines Glasofens genannt wird. Er ist der älteste Glasbläser in der Hergiswiler Glasi – und somit der Einzige, der sich an der Glocke zu schaffen machen darf.
Gleichzeitig lösen Mitarbeiter des deutschen Glasofenbauers Sorg den Verschluss an einer Öffnung an der Seite des Glasofens. Sie war tags zuvor gebohrt worden. Orange glühend und zähflüssig rinnt das Glas aus dem Ofen heraus in einen wassergekühlten Kanal aus Blech. Ein prasselndes Geräusch ist vom abfliessenden Glas zu hören. Die Rinne mündet vor dem Gebäude in eine mit Wasser gefüllte Schuttmulde. In diese rauscht der Glasstrom hinein.
Fast die ganze Belegschaft der Glasi hat sich für diesen Moment am Donnerstagmorgen rund um den Glasofen versammelt. Unter ihnen auch Eduar Arabiano, Leiter Technik und Produktion. Das sei schon ein emotionaler Moment für ihn, sagt der 72-Jährige, der seit 55 Jahren in der Glasi arbeitet.
«Wir haben zwei Jahre darauf hingearbeitet. Jetzt beginnt der Abbau des Ofens, dann bauen wir den neuen.»
Rund 3 Millionen Franken lässt sich Glasi-Chef Robert Niederer den Neubau kosten. Auch er beobachtet, wie die rund 16 Tonnen Glas langsam und stetig aus dem Ofen abfliessen. «Diesen Ofen hatten wir acht Jahre in Betrieb», hält er fest. «Es war der beste, seit unsere Familie 1975 die Glasi übernommen hat.» Doch auch dieser habe sich immer mehr abgenutzt: «Die hoch hitzebeständigen Steine im Ofen schmelzen mit der Zeit zusammen mit dem Glas und werden immer dünner», erklärt Niederer. Jetzt sei der Moment gekommen, den Ofen zu ersetzen, denn wenn er durchbrechen und das flüssige Glas unkontrolliert herausquellen würde, entstünden grosse Schäden.
Auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude stehen bereits unzählige Paletten mit Steinen für die Isolation des Ofens. «Das Innere besteht aus Steinen, die von einer Firma in Italien nach genauen Plänen auf Mass gefertigt wurden», sagt Niederer. Wie ein grosses Puzzle entstehe in den kommenden Wochen der neue Ofen. Die Steuerung sowie die Gasbrenner und Elektroden, die das Glas zum Schmelzen bringen, seien auf dem neusten Stand der Technik. Der Ofen werde energieeffizienter sein. «Das ist besonders in einem energieintensiven Betrieb wie dem unseren zentral», betont Niederer. Derweil die Ofenbauer am Werk sind, haben die Glasbläser sieben Wochen bezahlte «Zwangsferien».
Die Investition in den Ofen unterstreiche die Zuversicht in die Zukunft und den Willen, die Glasi weiterzubetreiben. «Das ist für mich eine Herzensangelegenheit», hält Niederer fest, der die Firma 1988 von seinem Vater übernommen hat. Auch sein Sohn sei mittlerweile im Betrieb.
«Ich hoffe, dass die Glasi noch mal eine Generation überdauert.»
Das Unternehmen habe mitunter zu kämpfen. 2019 sei ein gutes Jahr gewesen, das laufende werde wohl nicht so gut. Doch für 2021 und 2022 stehe ein aussichtsreicher Auftrag an. Einen halben Tag dauert es, bis das Glas aus dem Ofen geflossen ist. «Den grössten Teil davon werden wir im neuen Ofen wiederverwenden können», so Niederer. Nach dem Bau wird es rund zehn Tage dauern, den Ofen auf die Betriebstemperatur von 1500 Grad zu bringen. Am 6. April wollen die Glasbläser wieder mit der Arbeit beginnen. Dann obliegt es wiederum Manuel Catalao mit der alten Glocke, die die Gründer der Glasi 1817 von Flühli bei Sörenberg nach Hergiswil gebracht hatten, die neue Ofenreise einzuläuten.